Am Anfang und etliche Jahre später waren unsere Nachbarn nur Geistergestalten, die im Garten arbeiteten oder denen man auf der Straße begegnete. Blick nach unten gesenkt.
Lediglich Manolo, ein Landwirt, Bauer klingt nicht so gut, der 20 Jahre in England Gärten gepflegt hatte und nun mit seiner Rente auf seiner angrenzenden Finca lebte und arbeitete, hatte einen offenen Blick. Er kannte Ausländer, hatte keine Bedenken und war auch nicht scheu oder „verhuscht“.
Er besorgte über zwei Jahre unsere etwas komplizierte Wasserversorgung.
Nachdem der Hund einer Nachbarin drei unserer Hühner getötet und verscharrt hatte, fanden wir heraus, dass praktisch die ganze Nachbarschaft ringsum eine gewaltige Verwandtschaft bildete. Der Hund war zwar schon bei einer anderen Finca eingebrochen und als „Hühnertöter“ einschlägig bekannt. Aber, jammer , die Frau gehört doch zur Familie. Dass wir unsere Hühner besonders schützen müssten, hat auch niemand gesagt.
Bevor wir unseren Traktor hatten, kam Manolo mit seiner Bodenfräse zu uns rüber, um das eine oder andere Feld zu planieren. Jetzt. Nach 15 Jahren hat er etliche Zähne verloren, oder eingebüßt, weil nur das Zähneziehen von der Seguridad social, der staatlichen Krankenversicherung gedeckt ist. Deshalb gibt es an allen Ecken Zahnärzte, bzw. ganze Zahnkliniken, weil quasi alles privat bezahlt werden muss. Das würde auch unseren Zahnärzten gefallen, ein zweites Konto auf den Cayman Inseln.
Im Stall hält Manolo außer eingesperrten 50 Hühnern noch Ziegen und einen Ziegenbock, der so furchtbar morgens schreit, dass eine zu Besuch weilende Freundin Mord und Totschlag vermutete. Gleich neben Manolo wohnt eine Familie, die die meiste Zeit in Santa Cruz ist, weil die Frau in der Verwaltung der DORADA Brauerei arbeitet.
Kürzlich bekamen wir einen Anruf von ihr, Mari, ob wir denn den Krach gehört hätten ? Ein Lieferwagen hätte unseren Zaun niedergebügelt. Ich kam gerade noch zurecht, um zu sehen, wie ein Abschleppwagen das Lieferauto aus dem Abhang schleppte. Wahrscheinlich wäre er einfach weggefahren. Ein Leihwagen war es, der sowieso vollkasko versichert ist.
Nochmal Glück gehabt.
Die Polizei, die ich angerufen hatte, kam nicht. Gibt´s Tote ? Na dann ! Da half uns wieder mal die Wachsamkeit kanarischer Frauen, bei denen man den Verdacht hat, sie säßen die meiste Zeit am Fenster, um die Lage zu überwachen.
Es ist nicht nur dieses Phänomen. Auch sonst sind die Nachbarn sehr wachsam und geneigt sofort zur Gemeinde zu laufen, um Anzeige zu erstatten oder gleich die Polizei zu rufen.
Eines Tages läutete es am Tor. Draußen stand ein Polizeiauto. Wir waren gerade dabei trockene Gartenabfälle zu verbrennen.
Es wurde ein Feuer gemeldet, sagte der Beamte.
Ja, meinte ich, klar, wir verbrennen auf unserem großen Grundstück trockene Abfälle.
Da brauchen sie aber eine Genehmigung, meinte er.
Haben wir, sagte ich und holte den Zettel von der Gemeinde.
Aber der ist doch vom vorigen Monat, meinte er.
Ich tat ganz verwundert, war es aber auch. Wie oft muss man denn eine Genehmigung einholen , fragte ich.
Ja jedes Mal, erwiderte er.
Daraufhin meinte ich: und ihren Führerschein, den beantragen sie doch auch nicht jeden Tag.
Jetzt hatte ich ihn.
Er begann mit seiner Dienststelle zu telefonieren.
Nach einer Weile sagte er.
Doch, beim Verbrennen von Abfällen müssen sie jedes Mal eine Genehmigung einholen.
Gut, meinte ich, machen wir das nächste Mal.
Er war etwas verunsichert und fuhr wieder weg.
Aber so einfach ist die Geschichte nicht.
Für die nächste Verbrennaktion holte ich mir für Tag und Stunde eine Genehmigung. Es gab etwas mehr Rauch und schon war die Polizei da. Es ist eine Anzeige gemacht worden. Wir sollten auf die Gemeinde kommen, gingen aber erstmal zur Polizeistelle, um die Sache zu klären. Der Genehmigungszettel wurde fotokopiert: hier haben wir doch eine Genehmigung! Und was jetzt? fragte ich. Die Achseln wurden gezuckt, aber gehen sie lieber doch in die Verwaltung.
Dort saß schon die ganze Bande, die uns angezeigt hatte. Dieses Denunziantentum wurde wohl zu Francos Zeiten „scharf geschaltet“ und hat sich, weil üblich, wohl in die heutige Zeit herübergerettet.
Wir fragten die Angestellte, die solche Zettel ausstellt, wo das Problem sei.
Tja, meinte sie. Sie haben nur einen Antrag auf eine Verbrenngenehmigung.
Richtig, Datum und Zeit stehen da drin.
Aber Genehmigungen erteilen wir nicht.
Aqui es España
Seit diesem Theater sammeln wir das Schnittgut, das nicht kompostiert werden kann - wenn es sich nicht lohnt einen Container zu bestellen, um das Zeug zu einer professionellen Häckselfirma zu fahren. Auf einer reservierten Fläche verbrennen wir es dann am 23. Juni abends im Rahmen der Johannisfeuer, die dann auf der ganzen Insel lodern und wofür kein Antrag plus Genehmigung erforderlich ist. Nur bei großer Hitze und starkem Wind muss der „Event“ sicherheitshalber abgesagt werden.
Na, dann warten wir halt nochmals ein Jahr.
Nach dem Ende der groben Bauarbeiten wollten wir ein Fest geben und luden dazu den Kern der Leute ein, die am Zustandekommen des Projekts beteiligt waren. Aber auch einige Nachbarn.
Wir ließen uns nicht lumpen. Avocadosuppe, dann Shrimps in Knoblauchöl, Oliven, trockene Tomaten, und dann Rinderfilet mit Salzkartoffeln und wunderbarer Sauce Bearnaise. Zum Nachtisch dann Schokoladeneis. Die Küche war schon funktionsfähig, also konnten wir auch so ein Menü stemmen. Die Personenzahl war auch noch machbar.
Aber dann kam´s.
Jede der Familien kam zusätzlich mit Kindern einem Onkel und einer Schwägerin, klar, unangemeldet. Da mussten die Portionen angepasst werden und alle möglichen Tische und provisorische Sitzgelegenheiten zusammengesucht werden.
Unser Freund von der Universität José Mari Fernandez Palacios meinte nur lapidarisch: das ist hier so üblich, bei euch etwa nicht?
Mit dem Hauptgang war es so eine Sache.
Rippchen, Kotlett mit Schrumpelkartoffeln und grüner Mojo Sauce sind hier üblich. Auch ein flaches Huhn. Das kennt man.
Aber Rinderfilet, zweifingerstark geschnitten mit einer gelben Estragonsauce war doch zuviel des Absonderlichen. Zwar nicht alle, aber einige fragten nach Plastikbeuteln. Sie könnten nicht alles essen und würden den Rest gern für die Hunde mitnehmen.
Ein gelungenes Fest.
Eingeladen zu werden ist sowieso eine Rarität sonders gleichen. Stattdessen geht man mit seinen Freunden ins Restaurant. Von unseren Nachbarn würden wir selbst letzteres nicht erwarten. Ausländer ? Man weiß ja nie. Lieber nichts anzetteln.
Wird man aber mal eingeladen, dann gibt es drei Optionen:
1. Es handelt sich um die notgedrungene Erwiderung einer erfolgten Einladung - zuhause - wohlgemerkt. Kommt allerdings sehr selten vor. Sollte man trotz drauf Beharrens nicht annehmen. Macht keinen Spaß.
2. Gute Freunde laden einen „nach Hause“ ein. Dann bleibt man nur im Partyraum, meistens die Garage, die groß und geräumig ist. In die “Belle Etage“ aber kommt man nicht.
Nicht ums Verrecken.
3. Wird man wirklich so wie in Deutschland gang und gäbe in die Wohnung eingeladen, dann ist dies eine große Auszeichnung, ein absoluter Vertrauensbeweis.
Herzlich !
Ist uns in den fast 20 Jahren nur zweimal passiert.
Aber nochmal zurück zu unseren Nachbarn.
Diese Gesellschaft kommt mir so vor wie das Ökosystem im Urwald, z.B. am Amazonas. Das heißt nicht, dass es primitiv oder grob wäre. Nein, vielmehr zeichnet sich so ein Ökosystem durch eine große Artenvielfalt aus, die sich erst durch die Nährstoffarmut des Bodens entwickelt hat. Auch in der Gemeinde, bei den Nachbarn hat sich auf Grund der sehr kargen Lebensumstände ein weitläufiges Spektrum von Charakteren entwickelt. Das geht von Don Carlos, dem Großgrundbesitzer und Bezirksrat, der gern seine unmittelbaren Nachbarn kujoniert, über die Englischlehrerin, dem Schmied, dem Kampfhundhändler, der Großfamilie von Kartoffelbauern, der Krankenschwester und anderen bis hin zu Manolo.
Der hatte sich vor einigen Jahren ein regelrechtes Schelmenstück geleistet.
Das Lieferauto der Fischhhändlerin (auch der Bäcker macht so homeservice), die durch den Ort fährt, um „Fische aus der Region mit geringstem CO2 Fußabdruck“ direkt an die Kunden zu liefern, ließ sich wegen einer schwachen Batterie nicht mehr starten. Unsere beiden Zugangsstraßen sind sehr steil, weshalb sich Manolo erbot, das Auto doch durch bergabrollen zu starten.
Was er jedoch nicht bedacht hatte, war, dass auch die Servolenkung nicht funktionieren würde. Als er dann mit dem Auto, das immer noch nicht ansprang am Ende der Straße ankam, die eine scharfe Kurve machte, konnte er nicht um die Kurve lenken, sondern stürzte den Abhang gerade hinunter.
Das Auto war Schrott und Manolo hatte Glück im Unglück und sah nach dem Verpflastern seiner Schnittwunden wie eine ägyptische Mumie aus. Unklar blieb wer für den Schaden aufkommen sollte. Manolo hat kein Geld.
Eine liebenswerte Gesellschaft!
Fast wie bei Don Camillo und Peppone, nur halt in unseren Tagen.